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09.06.2012 - Ganz frisch liegt nun eine Anthologie des Schaffens von Myriam Marbe vor

Neuerscheinung
Juni 2012

Myriam Marbe – Ritual, Serenata, Trommelbass, Requiem

Die Musik Rumäniens spielte im Konzert der internationalen Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg eine kaum wahrnehmbare Rolle, da das Land von seinen Machthabern isoliert wurde und insbesondere Ceausescu nach chinesischem Vorbild eine nationale Kulturrevolution durchsetzen wollte, die sich gegen alle Einflüsse abschottete. Auffälligerweise waren es in besonders starkem Maße Frauen, die der rumänischen Avantgarde ihre Stimme verliehen, und die Emigrantinnen Adriana Hölszky und Violeta Dinescu haben es vor allem in Deutschland zu nachhaltigem Ansehen gebracht. Darüber ist die 1931 in Bukarest geborene und 1997 ebendort verstorbene Myriam Marbe im Westen immer ein Geheimtipp geblieben, da sie – als völlig unabhängiger Freigeist – auch unter widrigsten Umständen in ihrer Heimat blieb. Myriam Marbes Musik wirkt schlichter, kerniger und unmittelbarer als die ihrer Kolleginnen, dabei jedoch nicht weniger unorthodox und auch keineswegs traditioneller.
Die rumänische Musik seit George Enescu wurzelt überwiegend weniger in kontrapunktischen Techniken als in weitschwingender Monodie und in strengen Strukturvorgaben entgegengesetzter Heterophonie, also einer Art tendenziell anarchistischer Vielstimmigkeit, die oft wie eine expressiv prismatische Auffächerung der Einstimmigkeit wirkt.
Vorliegende Anthologie des Schaffens von Myriam Marbe umfasst 23 Jahre ihres Komponistenlebens – von der 1968 entstandenen, aleatorisch deklamierendenen Wortkomposition für gemischten Chor ‚Ritual für den Durst der Erde’ (ihrem international erfolgreichsten Stück) bis zur reifen Stilsynthese ihres Requiems ‚Fra Angelico – Marc Chagall – Voronet’ auf das Motto ‚Blau – Farbe der Ferne’ von 1990, einer Auftragskomposition des Heidelberger Festivals ‚Komponistinnen gestern – und heute’. Dieses Requiem wirkt in seinen einander fortspinnenden, meist langen Tönen tatsächlich wie eine einzige sich auffächernde und unregelmäßig überlagernde Melodie, die die Textfragmente in mehreren Sprachen (rumänisch, lateinisch, deutsch, altgriechisch und hebräisch) verbindet. Die Musik gehorcht keinerlei strukturellem Dogma, ist unvorhersehbar und von archaischer Kraft, und in ihrer fast improvisatorisch fessellosen Dramatik von einer Einfachheit, die auch ungeübten Hörern sofort zugänglich ist. Das Werk wurde bei der Heidelberger Wiederaufführung 2011 unter Jan Schweiger aufgenommen.
Die übrigen Aufnahmen sind vom rumänischen Rundfunk lizensiert. Der Chor ‚Madrigal’ unter Marin Constantin trägt das ‚Ritual für den Durst der Erde’ vor, das er auf Tourneen in ganz Europa bekannt gemacht hat. Auch die zwei weiteren Werke haben stark rituellen Charakter. Die ‚Serenata. Eine kleine Sonnenmusik’ von 1974 für Klarinette, Streicher, Celesta, Klavier und Schlagzeug ist der Versuch einer „freundlichen, liebenswerten Musik mit den Sprachmöglichkeiten unserer Zeit“, und in der ornamentisch locker gefügten, beredt feinziselierten, transparenten Faktur klingen unüberhörbar Fetzen Bartókscher und Mozartscher Musik an, ohne in das Muster der intellektuellen Collage-Ästhetik zu verfallen. Es ist leichtfüßig verspielte, gleichwohl introspektiv selbstbezogene Musik von eigentümlichem Zauber. ‚Trommelbass’ für Streichtrio und Trommel schließlich ist 1985 entstanden und konfrontiert zwei unvereinbare Welten: Der naturhaft getönten Freiheit des Ausdrucks der drei Streicher stellt sich der obsessive bis aggressive Ostinato-Rhythmus der Trommel entgegen – und das Stück wird zum Symbol des innerlich freien Individuums, das sich von keinem Zwang und keiner Gewalt korrumpieren lässt und letztlich erreicht, dass das starre System (die Trommel) von seiner gleichschaltenden Obsession ablässt und auf einen Herzschlag-Modus einschwenkt: die Vermenschlichung des Unmenschlichen, tönende Botschaft einer weiblichen Ästhetik der Gewaltlosigkeit. Es lohnt sich, die Musik von Myriam Marbe zu entdecken, die der europäischen Musik der Nachkriegszeit ihre unverkennbar eigene Farb- und Ausdruckspalette hinzufügt.


MYRIAM MARBE

Ritual für den Durst der Erde  (1968)
für Stimmen, Responsorienchor und Schlagzeug
Corul „Madrigal“
Leitung: Marin Constantin

SerenataEine kleine Sonnenmusik  (1974)
für Klarinette, Streichorchester, Celesta, Klavier und Schlagzeug
Philharmonisches Kammerorchester Brasov
Leitung: Ilarion Ionescu Galati

Trommelbass  (1985)
für Streicher und Trommel
Ensemble „Romantica“
George Dima, Violine – Stefan Gheorghiu, Viola – Constantin Gheorghiu Holban, Violoncello – Viorica Curilla, Trommel

Requiem - Fra Angelico – Marc Chagall – Voronet  (1990)
für Mezzosopran, Chor und Ensemble
Barbara Werner, Mezzosopran
Chor und Extrachor des Theaters Heidelberg – Philharmonisches Orchester Heidelberg
Leitung: Jan Schweiger

TRO-CD 01442




 
letzte Änderung
Friedemann Kupsa
(04.12.2018 - 10:56 Uhr)

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Es lohnt sich, die Musik der rumänischen Komponistin zu entdecken, die der europäischen Musik der Nachkriegszeit ihre unverkennbar eigene Farb- und Ausdruckspalette hinzufügt.

Myriam Marbe
Foto: © Gisela Gronemeyer