Zartheit und Härte
Renate Eggebrecht spielt Weinbergs Sonaten für Violine solo
Alle drei Violinsolosonaten von Mieczyslaw Weinberg auf einer CD zu vereinen, macht unbedingt Sinn, kommen die direkten Verbindungen zwischen der Musik und den Lebensumständen des russischen Komponisten dadurch doch umso plastischer zur Geltung. „Viele meiner Werke“, so bemerkte Weinberg, „befassen sich mit dem Thema des Krieges. Dies war leider nicht meine eigene Wahl. Es wurde mir von meinem Schicksal diktiert, vom tragischen Schicksal meiner Verwandten. Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert widerfuhren.“
Geboren wurde Weinberg 1919 in Warschau. 1903 war die jüdische Familie aus Moldawien nach Polen gezogen, der Vater arbeitete in Warschau als Theatermusiker, wurde aber Anfang der 1930er-Jahre wegen der Schließung des Theaters arbeitslos. Bereits als Zwölfjähriger besuchte Weinberg das Warschauer Konservatorium. Eine glänzende Karriere als Pianist kündigte sich an, da brach der Zweite Weltkrieg aus. Als NS-Deutschland 1939 Polen überfiel, flüchtete er in die Sowjetunion, während seine Familie ausharrte und ermordet wurde. Im Juni 1941, als deutsche Truppen schließlich auch in die Sowjetunion einmarschierten, floh er von Minsk nach Taschkent. Fernab der kulturellen Zentren fand Weinberg ein Auskommen als Korrepetitor an der Oper, und auch sein Potenzial als Komponist wurde erkannt und bis zu Dmitri Schostakowitsch weitergetragen. Zwischen beiden entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis, das bis zu Schostakowitschs Tod 1975 anhielt.
Weinbergs erste Violinsonate datiert von 1964. Zwar waren seine existenziellen Nöte zu dieser Zeit einer gewissen Konsolidierung und Sicherheit gewichen, von einer glücklichen Phase kann indes keine Rede sein. Die Erinnerungen an einschneidende Ereignisse seines Lebens zeigten ungebrochen ihre Präsenz an, und an der Isolation Weinbergs und der mangelnden öffentlichen Wahrnehmung seiner Werke hatte sich bis dato fast nichts geändert. Weinberg reagierte darauf auf seine Weise: mit Klängen wie spitze Aufschreie, die einmünden in Momente schillernder Raserei, abgelöst von wühlenden Bewegungen, bohrendem Rotieren und latenten Auf- und Abschwüngen. Wie anders mutet dagegen der zweite Satz an mit seiner fahlen Melodik, seiner zeremoniellen Langsamkeit, seiner Melancholie, die scheinbar alle Hoffnung fahren lässt. Und doch gehören beide Sphären in Weinbergs Musik untrennbar zusammen; eine Musik, die technisch sehr anspruchsvoll und strukturell streng durchdacht ist, aber ihre tief empfundenen Gefühlsgehalte nie verleugnet. Vor diesem Hintergrund geraten Weinbergs Werke zu Spiegelbildern seiner Seele. Programmatische Anwandlungen, biografische Einflüsse und vielschichtiges musikalisches Denken durchdringen sich.
1967, ein Jahr bevor er seine mittlerweile gerühmte Oper „Die Passagierin“ vollendete, hatte sich Weinberg erneut der Solosonate zugewandt. Die Nummer 2 knüpft zum einen in ihrer Komplexität an die Nr. 1 an, ja, steigert diese noch, und zum anderen projizierte er die mit der Oper verbundenen Stimmungen unterschwellig auf das Solostück. Oper und Sonate korrespondieren im Hinblick auf ihre jeweilige Kompromisslosigkeit und Expressionskraft, ihre Dualität von Zartheit und Härte.
Zwölf Jahre später, 1979, entstand Weinbergs dritte und letzte Sonate für Violine solo. Das in einem Satz durchkomponierte Werk ruft ein ebenso bedrückendes wie berückendes Wechselbad emotionaler Regungen hervor. Es gönnt dem Hörer auf der „Reise“ durch spröde Klangwelten kaum eine Entspannung, kaum eine Ruhepause – und beschert in der Interpretation von Renate Eggebrecht zugleich klanglichen Hochgenuss. Als kleine, aber sinnfällige Dreingabe erscheint im Kontext der drei Violinsolosonaten Weinbergs die hinzugefügte Fuge für Violine solo von Alfred Schnittke.
Egbert Hiller
VIOLIN SOLO Vol. 9
Mieczysław Weinberg (1919 – 1996)
Sonaten für Violine solo
Sonate Nr. 1 op. 82 (1964)
Sonate Nr. 2 op. 95 (1967)
Sonate Nr. 3 op. 126 (1979)
Alfred Schnittke (1934-1998)
Fuge für Violine solo (1953)